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Ansichten über Werbung und den »personal selling point«


Abschlussarbeit zur Erlangung des akademischen Grades »Diplom-Designer«
Hochschule für Gestaltung / Offenbach am Main
Visuelle Kommunikation

Prüfer für den theoretischen Teil: Professor Burghart Schmidt

Prüfer für den praktischen Teil: Professor David Linderman

© 2008 Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main

Ich – und das da draussen.
»Selbstprofilierungstendenz« und schulische Ausbildung

In Zeiten der Einkaufs- und Vertiebssysteme wie Electronic Biding, e-business, Telefonverkauf über Call-Center, Emails und SMS werden persönliche Kundenkontakte immer weiter ins Abseits gedrängt. Die Kommunikation zwischen Anbieter und Kunde verlagert sich stets weiter ins Digitale und damit ins Rationale. Immer stärker tritt nun das Bedürfnis der Kunden nach Vertrauen und Sympathie in den Vordergrund. Für den Mitarbeiter bedeutet das, nicht nur das Produkt, sondern auch »sich selbst gut zu verkaufen«. Die eigene Wirkung der Persönlichkeit dem »Personal Branding«, zu deutsch: »Der Mensch als Marke« – gilt heute größte Aufmerksamkeit! So wie man einen Menschen erlebt, der in einem Unternehmen arbeitet, so beurteilt man dieses Unternehmen. Damit geht die Verkaufsfunktion auf jeden einzelnen Mitarbeiter über – eventuell ändern sich hierdurch auch Unternehmensstrukturen, wenn der Mitarbeiter zum sozusagen Teilhaber, bzw. einer Geschäftsgrundlage wird – ? Verkaufen ist Kommunikation. Besser verkauft – besser kommuniziert. Wer sehr gut kommuniziert, lebt glücklicher. Die Kehrseite dieser Medaille sieht allerdings folgendermaßen aus, Intrige, Mobbing und Kampf um die eigene Stellung werden härter – mit fatalen Folgen für unser gesellschaftliches Zusammenleben. Kommunikation erfordert »Emotionale Intelligenz«, Überzeugung für die Sache selbst ist zwar der erste Ausgangspunkt, nur sind neben überzeugenden Argumenten, eine Bereitschaft sich ständig weiter entwickelnder Kommunikationskompetenz und Fähigkeiten mit den eigenen Emotionen und denjenigen anderer Menschen konstruktiv umzugehen, in Zukunft noch entscheidender. Dafür sollte doch das Angebot an Schulen in Deutschland erweitert werden, statt das Abitur zu verkürzen.

Vielleicht gehört ein 5-Punkte-Plan, den Arnold Schwarzenegger zu jedem Jahreswechsel aufstellt, bald auch in unsere Schulpläne. Seine Erfolgsgeschichte, so berichtete er in einem Interview, war auf 5 große Meilensteine begründet. Nach eigenen Angaben schaffte er sie jedes Jahr kontinuierlich aus dem Weg und so wurde er unter Anderem auch Gouverneur von Californien.

Mit einer Verfünffachung des Lehrangebots an öffentlichen Schulen könnte man die Basis für individuell ausgebildete Menschen schaffen, denen es möglich ist in einer komplizierter werdenden Welt zurecht zu kommen. Jeder Schüler hätte zu Beginn des Quartals eine Liste einzureichen, mit den kurz- und langfristigen Zielen, die er in Absprache mit seinen Eltern, Freunden und Lehrern zu treffen hätte. Dem Voraus wären Selbstfindungskurse und ein Spiel mit Extremsituationen die die eigene Existenz vor Augen halten, im Angebot. Bald würden starke und stärkere Menschen ausgebildet, die maßgeblich an ihrer eigenen Ausbildung schon von Anfang an mit beteiligt wären und zu aktiven Gestaltern unserer Gesellschaft würden. Wir können nicht länger die Augen vor den Neuen Wirtschaftsmächten China und Indien verschließen. Wir verfügen über einen entscheidenden Vorteil – ein halbwegs gut funktionierendes Bildungssystem.

Die fünf Kriterien des »Emotionaler Intelligenz«:
nach Daniel Goleman: »Die Emotionale Intelligenz«

Eigene Gefühle erkennen:
Der Emotionale Zustand im Moment dient als Ausgangslage. Die Erkenntnis über die jeweilige Gefühlslage ist notwendig um nicht von einem Gefühl dominiert oder gesteuert zu werden.

Eigene Gefühle managen:
Selbstbeherrschung heißt lernen. In Extremen lauern Gefahren. »Der Jähzornige, Hasserfüllte ist zu grausamen Taten bereit – der allzu Euphorische trifft unvernünftige Entscheidungen.« Wo liegt die Mitte?

Die Gefühle Anderer erkennen:
Wie komme ich an? Wie kommt meine Botschaft an? Wie reagiert er oder sie? Schlechte Gefühle kann man am Gesprächspartner feststellen und versuchen sie in positive zu verwandeln.

Die Gefühle anderer positiv verändern:
Durch eigene gute Gefühle kann man andere Menschen beeinflussen und für sich gewinnen. Aus innerer Überzeugung zu sich selbst, weil Überzeugung ein hohes Maß an Selbstmotivation in sich birgt.

Selbstmotivation:
Der tiefere Sinn im eigenen Tun ist der Schlüssel. Der Glauben an sich selbst und an die Sache. Es muss möglich werden Stimmungsschwankungen auszugleichen.

Charisma* als spiritueller Mehrwert
oder das Wunder der rechten Gehirnhälfte.

Charisma zu bekommen, heißt sich selbst so zu akzeptieren, wie man ist. So bald sich eine fremde Rolle einschleicht und zur Selbstentfremdung führt, verliert man an Ausstrahlung und läuft Gefahr unglaubwürdig zu erscheinen. Die Herkunft, Kindheit, Jugend, Elternhaus, Erziehung, Schule, Ausbildung (fehlende Ausbildung!), Tradition, Geschichte zu leugnen, geht auf Kosten der Ausstrahlung. Man ist nicht mehr authentisch. Jeder Mensch hat die Anlagen zu einem Original, er muss nur sein »Markenzeichen« suchen.

Was ist mein Markenzeichen? Was an mir wirkt auf andere Menschen besonders stark? Gibt es Unvollkommenheiten an mir, die mich stören?
Wichtige Fragen, denn Menschen mit Charisma haben alle ein Markenzeichen. Erscheinungsmerkmale, Charaktereigenschaften, Ausdrucksformen oder andere Eigenarten, genauso wie Unvollkommenheiten zu denen man bestenfalls stehen sollte (hat man sich mit ihnen versöhnt, stören sie einen nicht – stören sie andere nicht).

Der »Solarplexus«, auch Bauchgehirn genannt, ist das Zentrum unserer Gefühle. Emotional Personal Selling (Personal Selling Point) bedeutet also nichts anderes, als das man aus dem rationalen Bedürfnis heraus, sich selbst zu verkaufen, auf Bauchentscheidungen angewiesen ist. Dieser Prozess wird dann zu einem Emotionalen. Wer andere positiv beeinflussen will, muss selbst positiv eingestellt sein. Wer andere motivieren und begeistern will, muss selbst motiviert und begeistert sein. Emotional Personal Selling, ist die Fähigkeit sich selbst in hohem Grad zu motivieren. Hierbei ist es ein Fehler, sich von äußeren Reizen abhängig zu machen, echte Motivation kommt von innen heraus. Selbstmotivation ist also ein Teil der Emotionalen Intelligenz.

Wie kommt das zu Stande? Was kann man das erlernen? Welche Gedanken sind es, die diese positive Sicht der Dinge ermöglichen?
Dieses Problem ist ein Neurolinguistisches. Und es beginnt jeden Morgen aufs Neue mit dem Self-Management. Die Fragen an das Leben sollten nach positiver Bestätigung ausgerichtet sind. Der Schlüssel in dieser Spirale ist sich darüber klar zu werden, wie man es schafft zu einem persönlichen spirituellen Mehrwert zu gelangen, der im Grunde die Basis der Sinnfindung ist. Wenn man also auf die Frage warum es Sinn macht heute Morgen aus dem Bett zu steigen, eine motivierende positive Antwort gefunden hat, hat man den ersten Schritt gemacht seine Selbsterkenntnis in Richtung des eigenen spirituellen Mehrwerts zu lenken. Diese Arbeit lohnt sich, und man kann sie im Gegenzug auch an Freunden und Geschäftskollegen ausprobieren. Indem man sich den heutigen Entschluss fasst, jemanden Zuwendung, persönliches Verständnis, Anerkennung und Wertschätzung im Kleinen zu schenken. Positive Bestätigung Anderer führt zu positiver Bestätigung durch Andere.

Die entscheidende Erkenntnis, dass jeder Tag ein Happening sein kann, hängt einzig und allein ab vom Charme, der positiven Bestätigung, der Zuwendung, der Wertschätzung und Wärme die man anderen Menschen entgegenbringt ab. Mit anderen Worten, »You never get a second chance to make a first impression!« Jeder ist der »Vorstand« seines eigenen Fan-Clubs. Die Größe des Fan-Clubs entscheidet darüber, ob und wann sich der persönliche Durchbruch zum Emotional Personal Selling bzw. dem Personal Selling Point im täglichen Leben manifestiert und damit zur Zufriedenheit führt, der Andere vor Neid erblassen lassen wird.

Das Bedürfnis nach Zuwendung ist bei den meisten Menschen unbefriedigt, weil jeder vorwiegend mit sich selbst beschäftigt ist. Harry Holzeu entgegnet Abraham Maslows Bedürfnispyramide mit einer Richtigstellung. Zuwendung ist nicht soziales Bedürfnis, sondern ein Existenzielles.

Spiritueller Mehrwert – Die Macht von Geschichten
Peter Gruber, Havard Business Manager, März 2008, ab S. 92

Gute Geschichten berühren und fesseln Menschen seit jeher. Sie können bewirken, was mit nüchternen Informationen und nackten Zahlen allein nicht gelingen kann. Ein erfolgreicher Verkäufer versteht es, eine Geschichte zu erzählen, in der das Produkt der Held ist. Mit der Selbstführung verhält es sich wie mit einem Firmenchef der Investoren und Partner gewinnen will, ehrgeizige Ziele setzen und seine Mitarbeiter motivieren will. Er erzählt eine anrührende Geschichte, um die Mission des Unternehmens zu umschreiben. Der Personal Selling Point, der »Point of View«, um den es in dieser Arbeit immer wieder gehen wird, beschreibt gerade diesen Sachverhalt des nicht Interagierens*, sondern des Intraagierens der Einzelperson. Dadurch ist die Grundlage des Agierens als Gestalter, beziehungsweise des Konsumenten, der gleichzeitig auch im Gestalter steckt, vorgegeben.

Die Authentizität des Geschichtenerzählers
Die wichtigste Eigenschaft für einen »Geschichtenerzähler« ist seine Authentizität. Er und seine Geschichte müssen zusammenpassen. Der Einklang zwischen dem was er macht und den Mitteln die er einbringt sind wichtige Substanz. Tief verwurzelte Wertvorstellungen muss er in seinen Geschichten aufrichtig zum Ausdruck bringen.
Dies betrifft natürlich insbesondere seine eigene Person. Sich selbst treu zu bleiben, heißt auch Gefühle zu zeigen und mitzuteilen. Den meisten großen Geschichtenerzählern ist es ein Anliegen, die Zuhörer nachempfinden zu lassen, was sie selbst fühlen, und eine wirkungsvolle Erzählung soll genau das erreichen. Auf diese Weise wird Information in Verbindung mit Erfahrung zu etwas Unvergeslichem. Ein Geschichtenerzähler, der bereitwillig Sorgen, Ängste und Unzulänglichkeiten eingesteht, bietet dem Publikum die Möglichkeit, sich mit ihm zu identifizieren. Dadurch gelangen die Zuhörer auf eine neue Ebene von Verständnis und werden letztlich zum Handeln angespornt. »Liebe dich selbst und du ereichst die Herzen anderer!«

Ehrlichkeit und Zuhörer
Zuhörer schenken einem Geschichtenerzähler Zeit, in der Hoffnung, er könne ihnen etwas bieten. Zeit und Aufmerksamkeit sind eine ständig verfügbare Ressourcen, die sich mit jedem neuen Tag um 24 Stunden erweitern, die jedoch aufgrund der vielen Anwärter auch das knappste menschliche Gut darstellen. Um als Geschichtenerzähler die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zu bekommen und zu behalten, muss man seinen Zuhörer, der man im übrigen eben auch selbst ist, abholen und mit auf eine spannende Reise nehmen. Durch das wirkungsvolle Arrangement emotionaler Impulse schafft es der Geschichtenerzähler tatsächlich, die Geschichte auf den Zuhörer zu übertragen, sodass dieser zu ihrem Fürsprecher/Herold wird, weshalb sich die Botschaft anschließend wie ein Virus verbreiten wird.

Der richtige Moment
Ein guter Erzähler erzählt seine Geschichte immer wieder anders und an die Situation angepasst. Gute Geschichtenerzähler können sich durch ständiges Wiederholen ihrer Geschichte Übung im Umgang mit Ihrer Flexibilität verschaffen. Nach und nach setzt dann das eigene Improvisationsvermögen ein, ohne dass der rote Faden verloren geht. Für den versierten Geschichtenerzähler können Spontanität und Prägnanz elegante und sehr wirkungsvolle Hilfsmittel sein. Der Jazzmusiker ist auch ein Geschichtenerzähler, er benutzt keine Worte aber durch Töne erzeugte Emotionen. Sobald er allerdings zu gefällig oder nachlässig in bekannte Motive fällt, verliert er die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer.

Geschichtenerzähler und ihre Mission
Jeder gute Geschichtenerzähler fühlt sich einer Sache verpflichtet, die über seine persönlichen Interessen hinausgeht. Sein Auftrag kommt in seinen Geschichten zum Ausdruck, denn diese verkörpern Werte, an die er glaubt und von denen er andere überzeugen möchte. In der Geschichte an sich muss also ein Nutzen stecken, der dem Publikum angemessen sein muss. In der heutigen, von Zynismus und Ich-Bezogenheit geprägten Zeit wollen die Menschen unbedingt an etwas glauben, das größer ist, als sie selbst. Der Geschichtenerzähler hat hier die zentrale Rolle, eine Mission zu vermitteln, an die Menschen glauben können und der sie sich widmen. Die Macht einer Geschichte entfaltet sich aber erst dann grundlegend, wenn sie mit dem Herzen erzählt wird. Die Tradition der mündlichen Überlieferung liegt im Zentrum unserer Fähigkeit, andere zu motivieren, zu überzeugen, zu inspirieren, mitzureißen und zu führen.

Emotionen werden in Zukunft immer wichtiger, um Menschen erreichen zu können. Zunehmende wirtschaftliche und politische Unsicherheit führen hinsichtlich Konsum, Wertigkeiten, Glauben etc. vermehrt zu Fragen, die nach Lösungen verlangen. Die wirtschaftliche Unsicherheit hat inzwischen weite Teile Europas direkt und indirekt erfasst. In naher Zukunft gibt auch keinen Grund anzunehmen, dass sich das in den nächsten Jahren positiviert. Die Wenigverdiener werden ihren Gürtel noch enger schnallen müssen, und diejenigen die bisher einen hohen Lebensstandard gewöhnt waren, werden Einschränkungen hinnehmen müssen. Die Entwicklungen in Deutschland gehen langfristig gesehen, eher in Richtung der projektbezogenen Kurzbeschäftigung. Jeremy Rifkin stellt in seinem Buch »Welt ohne Arbeit« die These auf, dass Unternehmen nie wieder alle zu Verfügung stehende Arbeitskraft nutzen können. Non-Profit-Organisationen werden mehr und mehr der allgemeinen Wohlfahrt dienen. Er spricht auch über die bei jungen Menschen verbreitete, wachsende Verunsicherung, die durch Klimaerwärmung, Umweltverschmutzung und zunehmende brutale Kriminalität entsteht. Es wird inzwischen schon wieder von Endzeit gesprochen.
»Man lebt authentischer«. Im Sinn des Selbstschutzes haben viele erkannt, dass es besser ist, die eigenen Gefühle anzuerkennen, sie zu zeigen, darüber zu reden und sie so als Teil des eigenen Lebens zu begreifen. Man verteidigt sich zunehmend emotional. Wichtig ist, diese Gefühle selbst zu produzieren und sich durch ein Netzwerk positiv wirkender Menschen positive Erlebnisse zu schaffen.

Der Personal Selling Point ist Weltanschauung.
Eigentlich gibt es nur zwei Weltanschauungen:
Man könnte sich damit abfinden, dass unser Leben keinen Halt hat so, wie es Heidegger* beschreibt: »Wir kommen vom Nichts und gehen ins Nichts. Unser Leben ist ein Hineingehängt sein in das Nichts. Der Mensch ist allein in der teilnahmlosen Unendlichkeit des Universums, aus der er zufällig hervorgegangen ist.« Oder wir glauben an einen Schöpfer, der jenseits des Fassbaren existiert, wie auch immer er aussehen mag. Wir akzeptieren, dass dieser Schöpfer außerhalb unserer Reichweite von Raum und Zeit in seiner Dimension ohne jeden Beweis agiert und alles durchwirkt und eine allgegenwärtige Kraft besitzt. Diese Kraft erfüllt uns mit unerschütterlicher Zuversicht. Diese zweite Sicht würde uns vor allem die Angst und die Furcht nehmen und unser Selbstbewusstsein in gesundem Maße stärken. Über ein hohes Selbstwertgefühl zu verfügen heißt auch, seine Ziele mit Zuversicht ansteuern zu können. Eine ausgeglichene Psyche gehört zu den Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Tätigkeit.

Emotionale Annäherung
Die Projektion* im psychologischen Sinne lässt uns in andere Menschen das hineininterpretieren, was wir selber sind (siehe Spiegelneuronen ** ). Wir denken, fühlen und handeln so, wie es unseres inneren Charakters entspricht, und genau so denken wir von anderen Menschen. Sympathisch sind uns diejenigen, die unser Verhalten am besten wiederspiegeln. Sie entsprechen uns. Dieser psychologische Mechanismus spielt eine entscheidende Rolle in allen Facetten unserer zwischenmenschlichen Kommunikation. Erkennt man die Projektionen seiner Mitmenschen, kann man sich ganz auf diese einstellen und ihnen emotional das geben, was sie insgeheim und unbewusst erwarten. Mit etwas Übung wird man zum Menschenmagnet. Ein chinesisches Sprichwort lautet: »Wer nicht lächeln kann, darf keinen Laden aufmachen.«

Interessant sind in diesem Zusammenhang die Forschungsergebnisse des Anthropologen Rolf W. Schirm und dem Verhaltensforscher Paul MacLean. Sie teilen das Hirn in die drei Teile: Stammhirn (instinktiv-gefühlsmäßig), Zwischenhirn (impulsiv-emotional) und Großhirn (kühl-rational). 90 Prozent der Menschen werden hauptsächlich von einem der drei dominiert. Sie lassen sich leicht erkennen und einschätzen. Bei den restlichen 10 Prozent ergeben die Forschungsergebnisse eine Balance zwischen allen Dreien.

Stammhirn orientierte Menschen erkennt man häufig an ihrem Hang zu gastfreundlichen Ritualen, Komfort und Bequemlichkeit, sie suchen nach Ruhe, Sicherheit und Geborgenheit. Sie meiden radikale Veränderungen und verlassen sich auf Bewährtes. Sie lieben Kontakte und fühlen sich getragen von einer Vielzahl Menschen, die sie lieben. Meist wirken sie auf Anhieb sympathisch und verbreiten Wärme und Nähe, die sie auch gerne reflektiert wissen. Meist erreicht man sein Ziel bei ihnen, indem man ihnen gut zuredet oder sie beschwichtigt.

Zwischenhirn orientierte Menschen positionieren sich und andere gerne genau. Sie bevorzugen das »Ja« und »Nein« vor dem »Sowohl als Auch«. Ihr Verhalten polarisiert sich zwischen Angst, Aggression, Angriff oder Flucht. Ihre Gegenwartsorientierung spiegelt sich in spontanen Reaktionen wieder. Geduld ist nicht ihre Stärke. Trotzdem besitzen sie eine starke natürliche Autorität, die ihnen hilft, ihren Willen durchzusetzen. Bei Ihnen zählen nicht Zukunft oder Vergangenheit, sondern das Jetzt.

Großhirn dominierte Menschen erfassen schnell wesentliche Ordnungsgesetze und suchen nach Zusammenhängen. Sie neigen zum Perfektionismus, sind in ihren Entscheidungen vorsichtig und machen sich eher Sorgen um die Zukunft. Im Kontakt mit Fremden sind sie zurückhaltend, sensibel und verletzlich. Sie neigen zu scharfen und empfindlich treffenden Formulierungen. Sie sind von Ironie erfüllt.

Wenn man seinen Gegenüber einschätzen kann, bringt es entscheidende Vorteile bei der Selbst-Positionierung mit sich. Jeder Mensch hat seine eigene Vorstellung von der Realität. Menschen nehmen Informationen von außen durch ihre Sinne wahr und zeichnen so die Welt als ihre eigene Landkarte nach, ihre eigene Realität entsteht. Gelingt es, diese Landkarte zu erkennen, kann man seinen Gegenüber einfach durchschauen und sich durch das erkannte Muster nutzend ihm entgegen bewegen. Vertrauen kann entstehen. Dennoch entstehen beim konsum-orientierten gesellschaftlichen Miteinander nicht nur Vertrauen, sondern durch den Wettbewerb auf dem globalen Märkten auch Misstrauen.

Spiritueller Mehrwert – Wettbewerb des Religiösen

Die Wettbewerbssituation in der Unternehmen und Einzelpersonen auf dem Arbeitsmarkt stehen, bringt Konsequenzen für die religiöse Kultur mit sich. Die Konkurrenz unter den Anbietern wirkt sich auf die Art und Weise des Religiösen aus. Um potenzielle Interessenten nicht durch Gruppenzwang, hierarchische Strukturen, hohe Eintrittsbarrieren oder ein etwaiges »Sektenimage« abzuschrecken, wird heute auf moderne Organisationsstrukturen zurück gegriffen. Diese Organisationsstrukturen kommen den religiösen Interessen der emanzipierten Kundschaft entgegen, denn sie ermöglichen eine freiwillige, zeitlich begrenzte und jederzeit kündbare Mitgliedschaft. Dieses hohe Niveau an Souveränität wird durch episodenhafte Interaktionsformen ermöglicht, die man im Gegensatz zu klassischen religiösen »Mitgliedschaftsverhältnissen« als Kunden- oder klienten-orientierte Form des Religiösen bezeichnen kann. Man muss sich zeitlich nicht mehr nach den Vorgaben der Kirche richten, sondern kann sich seinen eigenen religiösen Terminkalender zusammen stellen. So hat sich der größte Teil neuer Religiosität abseits fester, dauerhafter Gemeinschafts- und Organisationsstrukturen etabliert:
Veranstaltungsformen wie Seminare, Workshops oder Wochenendkurse zur persönlichen spirituellen Heilsfindung zeichnen sich durch ihre freie Wählbarkeit und relative Unverbindlichkeit aus. Da die verschiedenen Veranstaltungen unabhängig voneinander – jeweils für sich – wahrgenommen werden können, bieten sie den Interessierten die Gelegenheit, sich ihre eigenen Heilsvorstellungen nach eigenen Vorlieben und Nöten zusammenzustellen.

Der »Geschäftserfolg« der neuen Veranstaltungsformen hängt weniger davon ab, ob sie in der Lage sind, systematische, kohärente Ideengebäude (Ideologien) oder gar Dogmen aufzustellen, sondern flexible »Servicebeziehungen« zu Kunden und Klienten. Dabei interessieren vor allem die Vielstimmigkeit der Religion und die situationsgerechte Verbindung verschiedenster religiöser Elemente. Ob »Beratung«, »Lifestyle«, »Karriere«, »Wellness« oder »ganzheitliche Wohn- und Geschäftsraumgestaltung« – die Bezugspunkte des Religiösen sind in den neuen religiösen Verkehrsformen grundsätzlich individuell gestaltbar geworden.

Weil der Kundschaft in einer durch die unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten die ständige ‚ »Austritts-Option« offensteht, verschiebt sich auch die Machtbalance zu den religiösen Institutionen. Der religiös Interessierte kann in stärkerem Maße die Ausrichtung der Heilsbeziehung auf die eigenen Bedürfnisse als Baukastensystem verfolgen. Die Metamorphose der religiösen Vermittlungsformen wird somit von einem gleichermaßen nachhaltigen Wandel der religiösen »Ethik« begleitet, die in ihrer Ausrichtung auf die jeweiligen Bedürfnisse der Kundschaft mitunter in eine ‚ »Do-it-Yourself« Theologie umschlägt. Für die neuen Heilsdienstleistungen zeigt sich, dass mit ihnen in der Regel Erwartungen verbunden sind, die sich auf ein persönliches Wohlbefinden, eine erhöhte Lebenszufriedenheit und eine verbesserte Lebenstüchtigkeit ausrichten. Besonders deutlich erkennt man in den stereotypen* Vermarktungsstrategien der Angebote, die auffallend häufig verwendeten Begriffe »Selbst« und »Persönlichkeit«: »Selbstfindung«, »Selbsterfahrung«, »Selbstsicherheit«, »Selbstentwicklung«, »Selbstbeobachtung« – und analog »Persönlichkeitstraining«, »Persönlichkeitsschulung«, »Persönlichkeitsfindung«, »Persönlichkeitsentwicklung«. In den einschlägigen Veranstaltungen werden die neuen Moden von Heilsdienstleistungen als bunte Mixtur aus »religiösen«, »spirituellen«, »ganzheitlichen« oder »okkultistischen« Therapien mit kundengerechtem Zuschnitt angeboten. Die verfassungsmäßig garantierte Glaubensfreiheit verwirklicht sich aber auch zunehmens materiell: Glaubenssysteme, religiöse Praktiken, Mythen und Bilder sind zu allseitiger, individueller Nutzung freigegeben.

Ist der religiöse Markt nur eine Modeerscheinung oder ein Zukunftsmodell?
»Auch die etablierten Religionen werden sich in ihrem Auftreten verändern müssen. Wie ihre Wettwerber müssen sie wohl »Religionsmarketing« betreiben und sich überlegen, wie sie ihre Angebote für die Kunden attraktiver machen können. Das findet bereits statt. Die Marktrhetorik hat innerhalb der großen Kirchen schon eingesetzt.«

Spiritueller Mehrwert
»Kultmarketing ist die ästhetische Wiederverzauberung einer Welt ohne Aura.« Norbert Bolz
»Der heute wesenhafteste, der merkantile Blick ins Herz der Dinge heißt Reklame. Echte Reklame kurbelt die Dinge heran und hat ein Tempo, das dem guten Film entspricht.«

»Werbung ist heute die schlüssigste Selbstbeschreibung unserer Kultur. Heute spricht man ja nicht mehr von Reklame, an diese Stelle tritt das Kommunikationsdesign. Marketing ist zum Kampf um das Dasein von Marken in unseren Köpfen geworden, das Prinzip Aufmerksamkeit als Selektionsvorschlag ist Teil der Schlacht, die im Kopf von Verbrauchern geschlagen wird. Die Marktforschung seziert die Glaubenssysteme der Konsumenten um treffsicher platzieren zu können. Der Wert einer Marke existiert nur im Kopf des Kunden.

Um einen Kunden an eine Marke zu binden, muss man Unterscheidungsmerkmale herausbilden. Da sich diese Unterscheidungsmerkmale bei vielen Produkten bis zu scheinbarer Unvergleichbarkeit entwickelt, sucht man ständig nach neuen Möglichkeiten – rationale und irrationale. Unwiderstehliche Gefühlswelten und damit »unvernünftige Entscheidungen« werden dem Verbraucher in seiner Verwirrtheit implantiert. Durch logische Argumentation werden im zweiten Schritt, alle emotionalen Entscheidungen begründet und nachträglich in die Rationalisierung übergeführt.

Gute Werbung operiert mit einer Art Liebesverblendung, eben mit Dingen und Inhalten, die uns zu unserem Glück noch fehlen wie eine Liebeserklärung, deren Erfolg Früchte trägt. Was Menschen wirklich begehren, lässt sich nicht kaufen – es ist jedoch möglich, dieses Bedürfnis in Anerkennung als symbolisches System zu überführen. Das Triviale und Vulgäre enthält millionenfaches Zeichenmaterial um unsagbare Wünsche auszudrücken. Freundschaft, Liebe, Sicherheit und Selbstständigkeit sind elementare Bedürfnisse, die der Kommunikationsdesigner immer neu zu verpacken hat.

Spiritueller Konsum bedeutet Kultmarketing – Konsum als Religionsersatz?
Wie macht man Werbung für immaterielle Dinge, raffinierter gewordenes Genießen, für einen Kunden dessen Aufmerksamkeitsspanne von Tag zu Tag auf immer mehr gerichtet wird? Wo alles komplexer zu werden scheint, bekommt die Werbung eine zunehmend wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Einfachheit wird zu einem gei-stigen Mehrwert, der Hochkomplex-mediatisierte Umwelt zu Leichtverdaulichem herunterkocht. An diese Stelle treten nun Geschichten in Form von Mythen, als Hülle der austauschbar werdenden Produkte des Überflusses. Spiritueller Mehrwert hat heute nicht mehr nur die Aufgabe über Nutzlosigkeit und Überfluss hinwegzutäuschen, sondern er verleiht dem Produkt Mensch Spiritualität, wie es bisher Aufgabe der Religion war, und damit erfolgt die Anlehnung zur Transzendenz*. Der Akt des Einkaufens wird zu einer Art der Buße und damit zur religiösen Ikonenverehrung, die dem Freikauf von Sünde entspricht (aus einem Gespräch mit Prof. Schmidt – Marken werden zu Orientierungshilfen im Leben der Menschen).

Spiritueller Mehrwert spielt heute eine Rolle bei der lebensphilosophischen
Identitätsfindung. Dieser Prozess beginnt bereits in der Jugend. Dort tritt Werbung als geschlossenes Gesellschaftssystem vielseitig in alle Lebensbereiche. Der Kampf um Aufmerksamkeit spiegelt sich in unserer Wissensgesellschaft im Problem der Überinformation und dem »Selektions(un)vermögen«. Das Anwachsen der Möglichkeiten und knapper werdende Aufmerksamkeitsspannen führen zu einem Problem von großer Dringlichkeit. Steigende Werbeetaare werden die Rezeption von viel zu viel Werbung um uns herum auch nicht kompensieren können. Es wird einfach für viel zu vieles zu viel Werbung betrieben. Es ist jedoch interessant auf welchen Ebenen geworben wird und sich dabei unterschiedlicher Mechaniken bedient wird. Faszination und damit Aufmerksamkeit bedient sich unterschiedlicher Methoden und gliedert sich in drei Gesellschaftsbereiche: Politik | Massenmedien | Wirtschaft.

Wie gehen diese Bereiche mit Aufmerksamkeit um?
Die Politik erfindet Probleme, um im nachhinein Lösungen zu bieten. Die sehr geschickte Methode der Politik ist die Konstruktion von Problem und Lösung. Diese Praxis schafft gebannte Aufmerksamkeit.

Die Massenmedien arbeiten mit Skandalen wie Krieg und Katastrophe, um Aufmerksamkeit zu fokussieren. Diese Möglichkeit ähnelt der Politik und ermöglicht hierin eine ganz passable Zusammenarbeit zwischen Politik und Massenmedien.
Die Wirtschaft hat hingegen ein Problem – die gute Nachricht. Und gute Nachrichten langweilen im allgemeinen ziemlich schnell, sie schaffen keine Aufmerksamkeit, es sei denn, man ist selbst der Lottogewinner.

Die Wirtschaft konstruiert »spirituellen Mehrwert« als Kommunikationsverpackung in der Werbung aus einem Grund: Die technisch-sachliche Produktqualität hat einen allgemeinen Standard erreicht und damit gehen wesentliche Unterscheidungsmerkmale verloren. Werbung arbeitet in Zukunft auf der Ebene der Werte und konstruiert damit ganze Welten im Medienübergriff. Produkte werden lebensphilosophisch bespielt und deshalb spricht man von »Konsum – als Religionsersatz«. Man erzähle eine gute Geschichte, die Emotionalität und rationale Nachempfindung vereint und bekommt obendrein Kritikimmunität. Bilder sind wie Geschichten – sie lassen sich nicht negieren. Dieser lebensphilosophische Ansatz, spirituellen Mehrwert zu suchen, bedeutet nichts anderes als Gestaltung des eigenen Lebens, Identitätsbildung, Sinnstiftung, für sich und Andere.

Spiritueller Mehrwert und Kreationismus
Gott pfuscht auch »DIE ZEIT«, Ausgabe 33, 2005

Warum »Intelligent Design« religiös motivierter Unfug ist? Christliche Fundamentalisten bringen den biblischen Schöpfungsglauben, getarnt als »Intelligent Design«, gegen die Evolutionstheorie in Stellung. US-Präsident George Bush hat mit seiner Forderung, »Intelligent Design« an den Schulen zu unterrichten, eine heftige Debatte ausgelöst.

Nach einer aktuellen Meinungsumfrage glaubt mehr als die Hälfte der Amerikaner (und zwei Drittel der Wähler, die für George W. Bush gestimmt haben), dass »Gott den Menschen in seiner heutigen Gestalt irgendwann in den vergangenen zehntausend Jahren erschuf«. Noch mehr US-Bürger sehen keinerlei Anlass zum Widerstand, wenn in den Schulen im Fach Biologie der Kreationismus unterrichtet würde – eine religiös inspirierte Lehre, nach der die Vielfalt des Lebens nicht durch die Evolution, sondern nur durch das Wirken eines allmächtigen Schöpfers zu erklären ist.

»Als Autor mehrerer populärwissenschaftlicher Bücher über Evolution ist es mir herzlich egal, wenn die hundert Millionen oder mehr Bekenner dieses Glaubens meine Bücher verbrennen – solange sie sie zuvor gekauft haben. Doch leider werden sie meine Schriften in den Regalen liegen lassen, weil wissenschaftliche Texte für Gläubige belanglos sind. Ihre Doktrin beruht auf »höheren« Wahrheiten und benötigt keinerlei Beweise. Unstimmigkeiten werden beiseite gewischt. In God’s Own Country mögen Adam und Eva eine große Nummer sein, doch gibt es noch Dutzende anderer Schöpfungsmythen auf der Welt. Die Chinesen kennen eine Geschichte von einem Riesen, dessen Fliegen und Läuse zu Mann und Frau wurden, eine normannische Legende berichtet, sie seien aus zwei Baumstämmen entstanden, die das Meer an den Strand warf. Selbst wenn eine dieser vielen Geschichten stimmen sollte, können sie nicht alle wahr sein. Das irritiert die wahrhaft Gläubigen nie. Diese entschlossene Ignoranz macht nicht nur Wissenschaftlern Sorgen, sie irritiert auch die aufgeklärte Öffentlichkeit.«

Der Erfolg der Kreationisten beruht auf Denkfaulheit und Arroganz
Es gab viele Anläufe, den Adam-und-Eva-Mythos in den amerikanischen Schulunterricht zu etablieren, allein mehr als fünfzig Versuche, die Biologie-Lehrbücher zu ändern oder sie mit Warnhinweisen zu versehen: »Dieses Buch könnte die Evolution behandeln, eine kontroverse Theorie, die einige Wissenschaftler als Erklärung anführen für die Existenz allen Lebens, wie Pflanzen, Tiere und Menschen. (…) Niemand war dabei, als das Leben auf der Erde begann. Daher muss jede Aussage über seine Entstehung als Theorie und nicht als Tatsache betrachtet werden.« Zum Glück konnten alle diese Versuche mit Hilfe der amerikanischen Verfassung, die eine strikte Trennung von Religion und Staat festschreibt, abgewehrt werden. Nach Ansicht der Gerichte ist Kreationismus eine religiöse Überzeugung, die in den Schulen nicht gelehrt werden darf (das übernehmen dafür Kirchen und TV-Sender). »Nun hoffen die Kreationisten, ihre Idee mit einem geschickten Trick zu verbreiten, ohne dass die Justiz einschreitet. Sie nutzen ein anderes Etikett: »Intelligent Design« (ID) behauptet, das Leben sei zu komplex, als dass es durch die Evolution entstanden sein könne. Es müsse durch eine Art allmächtigen Designer konzipiert worden sein (wer das sein soll, wird nie gesagt, um Ärger mit der Richterschaft zu vermeiden). »Unterrichtet Darwin, wenn es sein muss«, sagen sie, »aber auch »Intelligent Design«, denn es ist ebenso eine wissenschaftliche Hypothese.« Schon jetzt unterrichten manche Schulen in den Vereinigten Staaten ID als Alternative zum Darwinismus.«

Präsident Bush sagte einmal: »Wenn Sie mich fragen, ob die Menschen mit den verschiedenen Ideen konfrontiert werden müssen, lautet die Antwort: Ja. Nur so können sie verstehen, worum es in der Debatte geht.« »Die Kreationisten wissen solche Hilfe zu schätzen. Das Discovery Institute, selbst an vorderster Front an der Entwicklung der ID-Idee beteiligt, jubelt: »Wir interpretieren, dass der Präsident seine Kommandoposition nutzt, um die Freiheit der Forschung und die freie Rede über die Frage des biologischen Ursprungs zu unterstützen. Das kommt genau zur rechten Zeit, weil viele Wissenschaftler diskriminiert werden, sobald sie mit der darwinistischen Orthodoxie brechen.« Richard Land von der Southern Baptist Convention klagt, dass die Evolution zu oft als faktisch gelehrt wird: »Lehrt sie als Theorie, und lehrt zudem noch eine andere Theorie – jene, die am meisten Unterstützung unter Forschern besitzt.«

Es ist ein raffinierter Trick, und sie haben damit eine Menge Erfolg. Steve Jones nahm vor kurzem an einer Sendung in der BBC mit einem Vertreter des Discovery Institute teil. Nach einer übellaunigen Diskussion beendete der Moderator die Sendung mit den Worten: »Also, die Kontroverse geht weiter.« Steve Jones empfand Verzweiflung. Es gibt nämlich keine Kontroverse, nicht im Mindesten. Das Geschäft des Discovery Institute* ist nicht die Entdeckung der Wahrheit, sondern ihre Verschleierung. Steve Jones entschloss sich seine Genetik-Vorlesungen nicht mit der Theorie zu beginnen, dass der Storch die Kinder bringt. Dennoch haben die ID-Anhänger in der Öffentlichkeit den Eindruck erzeugt, dass ihre Ideen die gleiche Aufmerksamkeit verdienen, wie jene, die von den Biologen akzeptiert werden.

»Intelligent Design« ist keine wissenschaftliche Theorie. Sie speist sich aus Denkfaulheit und Arroganz: »Ich bin ein kluger Kerl, und ich kann nicht verstehen, wie das alles durch Evolution entstehen konnte. Also konnte es nicht durch Evolution entstehen.« (Steve Jones) Jeder Beweis, dass die Evolution an einer Stelle am Werk ist, wird sofort gekontert: Die nächste Ebene von Komplexität in einem biologischen System sei aber nur durch Design zu erklären. Wird den Kreationisten auch das widerlegt, gehen sie wiederum einen Schritt weiter und deuten Intelligenz als Ausdruck des Schöpferplans. Es ist ein endloses Spiel – und wie so viele Spiele reine Zeitverschwendung. Wissenschaftler interessieren solche Spiele nicht, ihre Zunft arbeitet an Hypothesen, die getestet werden können. Solche Hypothesen hat ID nicht zu bieten, nur leere Worte.

Die Auffassung, dass die Natur zu komplex ist, um ohne einen übersinnlichen Designer entstanden zu sein, war schon Darwin bekannt. In einem Kapitel von »The origin of species«, in einem Abschnitt unter dem Titel »Organs of extreme complexity and perfection« machte Darwin sie gründlich zunichte. Sein Argument ist einfach und überzeugend, umso mehr, seit wir die Biologie besser verstehen. Er benutzte ein bekanntes Beispiel: das Auge. Bis heute ist es eine perfekte Widerlegung der Design-Idee. Zwar sind Augen komplexe Systeme, und wir verstehen nicht in allen Details, wie sie funktionieren – aber die Selbstgegebenheit (Husserl), dass sie ohne bewusste Intervention entstanden, sind überwältigend.

Evolution ist eine Serie erfolgreicher Fehler. Sie beruht auf natürlicher Selektion, auf erblichen Unterschieden und auf der Fähigkeit zur Reproduktion. Sie braucht Variation und kann nur mit dem arbeiten, was zufällige Mutationen ihr bieten. Das Resultat sieht oft nach Perfektion aus, ist aber das genaue Gegenteil. Augen verschiedener Art haben sich 50-mal oder mehr unabhängig voneinander in den verschiedenen Tiergrupppen entwickelt. Das Problem, dem Licht Informationen über die Umwelt zu entnehmen, wurde auf einem Dutzend verschiedener Wege gelöst. Alle Augen in der Natur sind gerade nur so kompliziert wie nötig. Tatsächlich ist ihre nur scheinbare Vollkommenheit ein Argument gegen »Intelligent Design«, denn jede Augenkonstruktion hat ihre eigenen großen Schwächen.

Viele Tiere haben Linsenaugen, um das Licht auf eine Ebene aus Zellen zu fokussieren, die es in Nervensignale umwandeln. Menschen, Würmer, Tintenfische, Schnecken und Spinnen erledigen diese Aufgabe auf sehr ähnliche Weise. Je größer die Linse ist, desto besser kann das Auge sehen; Mäuse zum Beispiel haben relativ zu ihrem Körperumfang größere Linsen als wir selbst.

Alle Augenkonstruktionen sind das Ergebnis der Umwelt-Anforderungen in ihrer evolutionären Vergangenheit. Auch das menschliche Auge ist gerade nur komplex genug: mit hundert Millionen Stäbchen für das Sehen bei schwachem Licht und drei Millionen Zapfen, die für das Farbensehen zuständig sind. Jeder Zapfen enthält Tausende Proteine, die Licht in biochemische Signale verwandeln. Drei Pigmente registrieren die blauen, grünen und roten Anteile des Bildes – und machen so nur einen Ausschnitt der Farbwelt »sichtbar«. Bienen sehen im ultravioletten Licht, deshalb sehen sie Blüten verziert mit Details die wir nicht sehen. Zum Glück sind uns die Mängel unserer Augen nicht bewusst. Professor Steve Jones

Das Geheimnis der Schöpfung ist eine Serie erfolgreicher Fehler
Die Evolution hat alle biologischen Systeme fortlaufend modifiziert, aber keines perfektioniert. Ihre Fähigkeiten sind begrenzt. Auch unser Auge ist ein Sklave dieses nicht zu beugenden Gesetzes. Es begann in der Evolution als ein Fleck lichtempfindlicher Zellen auf der Haut, die sich später zu einer becherartigen Vertiefung und dann zu einer primitiven Lochkamera umformten. Bevor das Licht in unseren Augen auf die Sensoren in der Netzhaut trifft, muss es jedoch erst die Schicht der Nervenfasern passieren, die die visuelle Information zum Gehirn leiten. Dies entspricht einer Kamera, bei der die lichtempfindliche Seite des Films auf der falschen Seite liegt. Im Geschäft wäre diese Konstruktion ein Ladenhüter.

Für die Evolution ist Perfektion nicht notwendig. Sie kennt dieses Konzept ebenso wenig wie das der Komplexität. Beides entsteht erst im Auge des Betrachters. Auch wenn die Kreationisten Beispiel auf Beispiel häufen für das, was sie als Design ansehen – die Evidenz spricht gegen sie. Das evolutionäre Lied von den Augen hat viele Dissonanzen. Es ist nicht das Werk eines großen Komponisten, sondern eines Arbeitstiers ohne Bewusstsein. Es war ein Kesselflicker. Ob es einen großen Designer da draußen gibt, ist nicht Gegenstand der Wissenschaft. Wenn es ihn geben sollte, beweist die Evolution vor allem eins: Er erledigt seinen Job miserabel.

Zurück zur Religion?
Um der Herausforderung durch den militanten Islam zu begegnen, müssten wir uns wieder auf unsere Religion und ihre Werte besinnen – so behaupten inzwischen auch aufgeklärte Zeitgenossen. Diese Rückkehr aber ist nicht nötig, wir haben durchaus anderes aufzubieten. Seit dem 11. September 2001 reden wieder alle von Gott. Die Islamisten schon immer, aber auch die führenden Repräsentanten der westlichen Supermächte. Am Rande einer Benefizveranstaltung für die Terroropfer in New York brachte der Filmstar Julia Roberts nur ein »God is great« ins Mikrofon des Reporters. Der Gott der einen ist jedoch der Teufel der andern.

Mit dem Gegensatzpaar von Gott und Satan, den personifizierten Gegenspielern von Gut und Böse, befindet man sich schon inmitten jenes fatalen religiös-mythologischen Sprachspiels, aus dem es so leicht kein vernünftiges Entrinnen gibt.

Halt, halt rufen die moderaten Religionsbefürworter: Wir müssen zwischen Fanatismus und einer recht verstandenen Religiosität unterscheiden. Es gab und gibt den entsetzlichen Missbrauch der Religion und dessen fälschliche und zynische Berufung auf Gott – aber dies hat nichts mit einem authentischen Glauben zu tun. Der ist immer und überall zutiefst menschlich und friedfertig. Das Religiöse ist ein weites Feld, wenn man in die Geschichte blickt und die kulturellen Ausprägungen in den verschiedenen Weltreligionen einbezieht. Und sicher tut sich zwischen Dogmatismus und Fanatismus einerseits und den toleranten Formen von »sanftem Glauben« andererseits ein breites Spektrum auf. Soll man sich also - im Vertrauen auf die sympathischen Formen des Glaubens – dem Plädoyer für eine religiöse Renaissance anschließen?

Die Befürworter einer Rückbesinnung aufs religiöse Erbe betonen unermüdlich, dass es ihnen um die Freilegung des »wahren Kerns« der Religion geht, der eigenen wie auch der fremden. In ihm entdecken sie nichts als Menschenliebe und Friedfertigkeit. Gibt es diesen »wahren Kern« überhaupt, und haben sich die Religionen von Hause aus je so eindeutig festgelegt? Eine Antwort lautet: Nein. Jede Religion ist aus unterschiedlichen und zum Teil widersprüchlichen Elementen und Motiven aufgebaut. Ein und dieselbe Religion widerspricht sich oft genug in ihrer mythologischen Überlieferung und in ihren schriftlichen Zeugnissen.

Islam: Der »wirkliche Islam« sei gar nicht so intolerant und kriegerisch, wie er im militanten Islamismus daherkomme. Seinem Wesen nach sei er ebenso verständnisvoll wie das inzwischen geläuterte Christentum. Dschihad meine ursprünglich nicht heiliger Krieg, sondern bedeute lediglich so viel wie eifriges Bemühen (so unter anderem Hans Küng). Aber so sehr dies auf religionshermeneutischer Abstraktionsebene zutreffen mag, so spricht nicht nur die historische und gesellschaftliche Wirklichkeit der Religion ihre eigene Sprache.

Schon am Ursprung, in ihren schriftlichen Quellen, werden krasse Widersprüche manifest. Auf der einen Seite etwa findet der erstaunte Leser im Koran Sure 2, Vers 256 den Satz: »In der Religion gibt es keinen Zwang.«

Dies hindert aber nicht, dass wir an anderer Stelle im selben heiligen Buch Sure 9, Vers 5 der Aufforderung begegnen: »Tötet die Heiden, wo immer ihr sie findet. Greift sie, umzingelt sie und lauert ihnen überall auf.«

Ähnliche Widersprüche stehen in der Bibel, und dort sogar im Neuen Testament, der Gründungsurkunde christlicher Religiosität. Neben dem Sanftmut der Bergpredigt stößt man auch hier mitunter auf ganz andere Töne. So beispielsweise, wenn Matthäus 10, 34 verkündet: »Meint ihr, dass ich gekommen bin, Friede auf Erden zu bringen? Ich bin nicht gekommen, Friede zu bringen, sondern das Schwert.« Eine historische Kontexteinordnung solcher Passagen mittels theologischer oder religionswissenschaftlicher Hermeneutik beseitigt im Übrigen weder ihre inhaltliche Ambivalenz, noch vermag sie die Bedenken gegen ihre doch sehr eindeutige sprachliche Metaphorik auszuräumen.

Fazit: Die Rede von der authentischen und einhelligen Botschaft aller Religionen hantiert mit einem Konstrukt, dessen Künstlichkeit weder der geschichtlichen Wirklichkeit der Religionen gerecht werden kann, noch der Quellenlage ihrer Ursprungstexte entspricht. Der Versuch, zwischen der »eigentlichen« Aussage einer Religion und ihren falschen oder pervertierten Inhalten eine begründete und beglaubigte Unterscheidung treffen zu wollen, ist ein aussichtsloses Unterfangen. Genauso wenig überzeugend ist es deshalb, wenn unter Verweis auf das angeblich edle Anliegen im Herzen aller Religionen für eine neue Religiosität geworben wird.

Religionen sind auch kulturell-historische Traditionscontainer, darum hat so gut wie alles in ihnen Platz. Dieser Umstand frustriert zwar jeden Wunsch nach Eindeutigkeit, hat aber auch etwas für sich. Die »großen Erzählungen« der Weltreligionen bieten Raum für alles Menschliche und Allzumenschliche, und eben auch Unmenschlichkeit. Menschen sind nicht nur gut und werden – gewissen religiösen Heilserwartungen zum Trotz – auch nie nur gut sein. Und in diesem Fall spricht es für die Religionen, dass ihre Überlieferungsbestände das weite Spektrum menschlicher Beweggründe und Absichten widerspiegeln. Die menschliche Psyche besteht eben auch aus Trieben und Affekten wie Hass, Feindseligkeit, Neid und Eifersucht, Rachegelüste und Vergeltungsfantasien. Das letzte Buch der Bibel z. B., die Johannes Apokalypse, ist in Teilen eine Schilderung von Vernichtungsfantasien. Hier darf man sich die Frage stellen, ob dieser Text nicht das unübertroffene Psychogramm des religiös motivierten Terroristen oder Selbstmordattentäters liefert.

Außer über den totalen Befreiungsschlag, mit dem das Böse ein für alle Mal aus der Welt geschafft werden soll, damit nur noch das Gute übrigbleibt, wird in den religiösen Schriften aber auch über Strategien der kleinen Schritte nachgedacht. Es wird gezeigt, wie Menschen dahin gelangen könnten, mit ihrem destruktiven Seelenpotenzial auf vernünftige und zwischenmenschlich verträgliche Weise umzugehen. Auf diese psycho-und soziotherapeutischen Überlegungen in den Religionen und die daraus abgeleiteten Verhaltensimperative lassen sich schließlich Kernstücke unserer heutigen Ethik zurückführen und nutzen. Religion fungiert in den Industrienationen des Westens heute weniger mehr als Vorbild, denn als Abbild des Menschen. Dies könnte ein Grund für den Werteverfall * * sein. Prof. Norbert Bolz spricht in diesem Zusammenhang von »Konsum – als Religionsersatz.«

Dies ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass die Religionen in ihrer Gesamtheit höchst zwiespältige Gebilde darstellen, gerade so ambivalent wie die menschliche Psyche selbst. Es macht daher wenig Sinn, wenn man zwecks Stärkung der positiven und aufbauenden Seelenkräfte im Menschen sich als Hauptargument gerade auf die Religion beruft, die sich doch in dieser Hinsicht stets als denkbar unsicherer Kantonist erwiesen hat.

In unserer Hemisphäre, also im Bereich jüdisch christlicher Religionstraditionen, haben mehrere Aufklärungsschübe so etwas wie eine profane Läuterung des religiösen Erbes bewirkt. Hauptsächliche waren Philosophie und Wissenschaft, die die religiösen Bestände an Welterklärung und Weltwissen gründlich ausgemusterten. Gleichzeitig konnten sie in puncto Menschenbild, Sittlichkeit und Moral anschlussfähige Konzepte aus dem religiösen Fundus aufgreifen und sie in einen diesseitigen Begründungs- und Verständniszusammenhang übersetzen. In Verbindung mit einer zunehmenden Trennung von Kirche und Staat ist auf diese Weise das entstanden, was wir die säkulare Gesellschaft nennen.

In der säkularen Gesellschaft ist es jedoch nicht nötig, das Religiöse völlig aus dem kulturellen und gesellschaftlichen Leben zu verbannen. Das Religiöse stellt allerdings eben nur mehr eine Stimme unter anderen im Pluralismus der Weltanschauungen dar. Das Gleiche gilt für seine institutionelle Verankerung in den Kirchen. Die kirchliche Diakonie reiht sich als eine Komponente in das gesellschaftliche Gesundheitssystem ein, neben dem Behandlungs- und Beratungsangebot der weltlichen Psychotherapierichtungen existiert auch weiterhin die altehrwürdige Einrichtung der kirchlichen Seelsorge.

Dass auch im säkularen* Zeitalter nach der Aufklärung die Religion als solche und vielfältigste Formen von Ersatzreligionen als Gestaltungsfaktor innerhalb einer offenen und pluralen Gesellschaft prinzipiell fortbestehen kann, sagt noch nichts über ihren tatsächlichen Einfluss aus. Dieser scheint, historisch Quellen nach, kontinuierlich zurückzugehen. Die politische, soziale und kulturelle Einflussmacht der Kirchen ist in den vergangenen Jahrzehnten weiter geschwunden, der Glaube hat an Kontur verloren und viel seiner lebenspraktischen Bedeutung im Alltag einbüßen müssen. In dem Maße, wie sich unser westlicher Lebensstil und seine Konsummuster auch in der sogenannten Dritten Welt ausbreiten, lösen sich auch dort die traditionellen, religiös gebundenen Lebensformen auf und erobern nichtreligiöse Anschauungen und Orientierungen die Köpfe der Menschen.

Der tendenzielle Fall der Glaubensrate dürfte auf lange Sicht ein weltweites Phänomen sein. Selbst das »Wiedererstarken« der Religion im ehemaligen Machtbereich der untergegangenen Sowjetunion wird kaum von Dauer sein. Als Reaktion auf ein ideologisches Vakuum wird es nur so lange anhalten, bis sich die normalisierende Grundtendenz des säkularen Gesellschaftsprozesses auch hier durchsetzt. Aus alledem folgt, dass einem echten religiösen Revival vor dem Hintergrund dieser globalen Entwicklung kaum Chancen eingeräumt sind. Die kirchliche Religion verschwindet durch die Aufklärung. Grundbedürfnisse und Ängste bleiben jedoch als Kernbestände der menschlichen Natur weiter bestehen und finden gerade in der konsumorientierten Warenwelt Ersatzbefriedigung.

Und was ist mit der islamischen Welt und dem Islamismus? Sind sie nicht ein Beleg dafür, dass auch heute noch Teile der Welt und ganze Bevölkerungen sich gegen eine säkulare Lebensweise entscheiden und an einer religiös dominierten Kultur festhalten? Können wir uns im »Kampf der Kulturen« ganz auf die Überzeugungskraft unseres freiheitlichen Gesellschaftsmodells verlassen? Genügt es, der Bedrohung durch islamische Fundamentalisten, die in unserer westlichen Zivilisation die zu vernichtende Welt der Ungläubigen erblicken, mit politischen und nötigenfalls auch militärischen Mitteln zu begegnen? Müssen wir diesem Gegner nicht gerade auch da etwas »Gleichwertiges« entgegensetzen, wo er sich stark fühlt? Müssen wir uns also nun auf die eigene »Ersatz-Religion« mit fundamentalen Werten besinnen?

Beim islamischen Fundamentalismus handelt es sich nicht um die Fortschreibung einer ursprünglich religiösen Kultur und ihrer Glaubensreinheit. Der Fundamentalismus ist vielmehr schon ein Produkt der Moderne, ein Ergebnis des kulturellen Schocks und der Konflikte, von beschleunigter gesellschaftlicher Modernisierung traditioneller Gesellschaften. Die Islamisten, so der Islamwissenschaftler Bassam Tibi, träumen den »Traum von der halben Moderne«: Moderne Wissenschaft und Technologie sowie deren Produktions- und Konsumgütersegen ja, kulturelle Modernisierung, sprich individuelle Freiheit, weltanschaulicher Pluralismus und politische Demokratie nein. Mit diesem Programm können sie allerdings nur so lange bei den einheimischen Massen punkten, wie diese nicht wirklich in den Genuss moderner Lebens- und Konsummöglichkeiten kommen, sondern im Gegenteil in den Abwärtsstrudel der Globalisierungsverlierer hineingezogen werden.

Weniger die religiösen Gefühle dieser Bevölkerungsteile werden von den Fundamentalisten artikuliert, sondern ihre Enttäuschung und Verbitterung wird von ihnen im Namen der Religion politisch instrumentalisiert. Sobald die betreffenden Menschen den Zustand der Deprivation (infolge von Verelendung, Arbeits- und Perspektivlosigkeit, von politischer Repression und kriegsbedingter Traumatisierung) überwunden haben, wird sich bei ihnen erneut die Anziehungskraft der gesellschaftlichen wie der kulturellen Moderne bemerkbar machen. Die Dialektik der »islamischen Revolution« im Iran bietet dafür ein anschauliches Beispiel: Nach jahrzehntelanger Knebelung durch ein klerikal-totalitäres Mullahregime bricht sich das Bedürfnis nach Freiheit in einer pluralistischen Gesellschaft unaufhaltsam Bahn.

Der islamische Fundamentalismus zeugt eben nicht von besonderer ideologischer und politischer Stärke, er ist vielmehr Ausdruck einer strategischen Schwäche. Er ist imstande, sich in einzelnen Ländern vorübergehend eine akklamatorische Massenbasis zuzulegen, und seine aggressiv-terroristische Ausprägung vermag sogar, wie wir jetzt wissen, die Welt unter extremen Stress zusetzen. Eine politische Zukunft wird ihm aller Voraussicht nach nicht beschieden sein.

Bedarf es dennoch einer zusätzlichen ideellen Aufrüstung in der Auseinandersetzung mit diesem Gegner über die exemplarische Ausstrahlungskraft des westlichen Modells moderner säkularer Kultur und Gesellschaft hinaus? Hans-Willi Wels: »Ich halte es für ein Missverständnis zu glauben, das Prinzip der säkularen Gesellschaft und die Kultur der Moderne beruhten ausschließlich auf materiellen oder materialistischen Werten. Durch diesen Denkfehler entsteht der Eindruck, wir müssten im Streit mit einem ideologisch hochgerüsteten Gegner uns erst noch mit gleichrangigen ideellen Werten wappnen, und dies ließe sich allein durch eine Rückkehr zu Religion und Glaube bewerkstelligen.

Übersehen wird dabei, dass moderne Kultur und säkulare Gesellschaft selbst eine Verkörperung geistiger Werte darstellen und dass in ihre Wertebasis sehr wohl auch profan gewendete religiöse Traditionen Eingang gefunden haben. Wir leiden in unserer Kultur und Gesellschaft, allen scheinbar gegenläufigen Oberflächentrends zum Trotz, weder an einem Wertemangel, noch hat sich die säkulare Lebensordnung völlig der Religion und ihrer Traditionen entledigt.

Statt einer zweifelhaften Wendung zum Religiösen (zu welchem Religiösen?) das Wort zureden, sollten wir gerade in Anbetracht des religiösen Fundamentalismus die emanzipatorischen Errungenschaften von Aufklärung und Säkularisierung akzentuieren. Sie mussten einem durch religiöse Ideologie kontrollierten und legitimierten Herrschaftssystem erst mühsam abgetrotzt werden. Die Freiheiten und Rechte des Individuums sind es, die außer Coca-Cola und McDonald‘s (und auf lange Sicht vielleicht mehr als diese) auch für die Menschen in der islamischen Welt das eigentlich Anziehende an der Kultur der Moderne und der westlichen Lebensweise ausmachen. Und zu jenen Freiheiten und Rechten des Individuums gehört endlich auch die Religionsfreiheit, die paradoxerweise ebenfalls erst einmal gegen die jeweils herrschende Religion durchgesetzt werden muss(te). Im Kampf gegen den islamischen Fundamentalismus würde also eine kluge Politik des Westens in jenen Ländern vor allen Dingen solche Entwicklungen fördern, die deren Bevölkerung am ehesten den Besitz und Genuss dieser emanzipatorischen Werte der Moderne ermöglichen.

Sosehr auch die Medien und ihre Auguren über das Gegenteil spekulieren, die Religion kehrt nicht zurück. Wie sollte sie auch: Sie ist nie wirklich aus der säkularen Gesellschaft verschwunden, Elemente von ihr sind im westlichen Wertefundament präsent, und als persönliche Religiosität lebt sie in einer (wenn auch abnehmenden) Anzahl moderner Zeitgenossen fort. Von einer Rückkehr der Religion zu sprechen, würde nur dann einen Sinn ergeben, wenn damit ihre Wiedereinsetzung als »Leitkultur« beabsichtigt wäre. Dies wäre aber der Anfang vom Ende der offenen, säkularen Gesellschaft.

Dem widerspricht nicht, dass in den USA immer wieder mit religiöser Rhetorik Politik gemacht wird. So befremdlich dies sein mag, es rührt noch nicht an den Grundfesten einer nach ganz anderen Gesetzen funktionierenden Gesellschaft und ihres verweltlichten Alltagslebens. Und dem widerspricht auch nicht, dass in den Tagen nach den Terroranschlägen von NewYork und Washington auch hierzulande die Kirchen voller waren als sonst. Das hatte damit zu tun, dass zahlreiche Menschen, Gläubige wie Ungläubige, das Bedürfnis verspürten, auch in der Öffentlichkeit mit ihren Ängsten nicht allein zu sein.

Außerdem sind auch in einer säkularen Lebenswelt die Kirchen der bevorzugte Ort öffentlicher Trauerbekundung. Das wäre ein schlechter Psychologe, der aus dieser menschlichen Reaktion gleich eine Trendwende zum Religiösen ablesen wollte.«

Fazit: Mit dem Baukastensystem »Ersatz-Religion« liegt für jeden Menschen der Zugang zu freier Lebensgestaltung bereit. Auf der Suche nach »spirituellem Mehrwert« verliert Religion im herkömmlichen Sinn Kirche zwar an Bedeutung, es entstehen aber neue Formen der eigenen Sinnfindung. Werbung bekommt damit auch ein neuartiges Gesicht, wenn sie sich nämlich nicht mehr auf biblische Darstellungsformen rückbeziehen kann, sondern auf neue anderweitig entlehnte Formen von Religiosität abzielt. Und gerade hier wird die Zielgruppe zur Nische, weil sich kleinere und speziellere Interessengruppen bilden.


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